Geschichte, auf Eis geschrieben

Geschichte, auf Eis geschrieben. Fotoserie. Ines Seidel

Meine Geschichte und deine,
noch getrennt, erstarrt,
beginnen zu schmelzen:
Buchstaben fließen davon,
Sätze sammeln sich in Pfützen…

Unsere Geschichte, ein langsames Fließen,
zerrinnt in neue Muster,
versickert oder verdunstet,
bis auf ein bisschen Staub,
und geht als Regen nieder, irgendwo.

Geschichte, auf Eis geschrieben. Fotografie. Ines Seidel
Für die Fotoserie „Geschichte, auf Eis geschrieben“ habe ich einen Eisblock mit Tusche beschriftet. Dafür wählte ich zwei Textfragmente, die mit Wasser zu tun haben:

Unmöglich zu sagen, wie oft ich an diese Flüsse gedacht, wie oft ich von ihnen geträumt habe, wie viele Nächte es mich hingezogen hat zu ihnen, wenn ich durch schlafende Städte zog, trockene, flußlose Städte, auf der Suche nach dem Wasser, auf der Suche nach der Bewegung des Wassers, (…). Aus: John von Düffel „Vom Wasser“.

Vom Wasser haben wir’s gelernt, vom Wasser. Aus: Wilhelm Müller „Das Wandern“
Geschichte, auf Eis geschrieben. Fotografie. Ines Seidel
Geschichte, auf Eis geschrieben. Fotografie. Ines Seidel

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Wände aus Worten

Wände aus Worten und Geschichten. Ines Seidel Drahthäuser, mit und ohne Betonsockel. Umhüllt von Text auf Teebeuteln, spontan mit Tusche drauflos geschrieben. Mit Wachs versiegelt.

(Haus 1, im Bild oben das zweite von rechts).

wände aus worten und fenster aus leisen worten und türen aus geschichten und wände aus worten und fenster aus leisen worten und dächer aus halben sätzen und treppen aus gelächter nur licht ist einfach so da. Und du bist hier. Ich bin hier.

Dazwischen wände aus worten, fenster aus leisen worten, türen aus geschichten und unausgesprochene kellerräume und du bist hier mit mir. Wir sprechen uns wände.

Dazwischen fällt licht durch wände aus worten und dächer aus halben sätzen und treppen aus gelächter, fenster aus leisen, dünnen worten, türen aus geschichten. Du hörst hier her. Hier her.

Und dächer aus halben sätzen und wände aus worten und alles kann einstürzen wenn uns kein neues wort einfällt, aber licht ist einfach so da. Und du bist hier und ich bin hier und türen aus geschichten, wenn du sie glaubst. Treppen aus gelächter. Kellerräume aus unausgesprochenen worten. Wenn du sie glaubst. Wenn du worte glaubst, bist du hier mit mir.

Wände aus Worten und Geschichten. Ines Seidel




(Haus 3, mit Wurzel und Zweigen darin)

Haus aus Geschichten, warme und kühle Erzählungen, eine bewohnte Sage. Kann die Pflanze ich herauswachsen? Eine größere Geschichte, ein größeres Haus, regenreiche Sätze, Worte aus Westwind + Sonnenstrahlen, schon nach wenigen Fragen unterm Dach, das Haus ausgefüllt, die Geschichte zu klein geworden. Erzähl sie nochmal.

Haus aus Geschichten mit vertrautem Ausmaß, leicht zu durchqueren, schwer zu verlassen, wenn die Geschichte so reizvoll als Biotop mit warmen und kühlen Sätzen, regenreichen Worten.

Haus aus Geschichten, so nah wie die eigene Haut, so glaubwürdig wie der eigene Name. Haus aus Geschichten um den eigenen Namen herumgebaut. Um den Namen gebaut.

Haus aus Geschichten* um den eigenen Namen herumgebaut. *(Nicht alle Geschichten glauben.) Mit kühlen und wärmenden Worten und regenreichen Sätzen und Sonnenstrahlen, damit du wächst, dein Name durchstößt das Dach.


Wände aus Worten und Geschichten. Ines Seidel

Eiskalte Geschichten

Treffen zweier kalter Geschichten - Ines Seidel

Dein frostiges Lächeln –
vielleicht die Spitze eines Eisbergs, der schmilzt.
Denn
nur kühl kann sie sein, die Einladung,
der Spur deines Mammuts zu folgen.

Geschichte vom Mammut - Ines Seidel
Nachdem ich Geschichten in Wachs konserviert habe, lag es nahe, mit Eis zu arbeiten. Gefrorenes Wasser fängt in der Wohnung sofort an zu schmelzen – das passt gut zu den Geschichten, die auch in ständiger Veränderung sind. Erinnerungen einzufrosten muss ganz schön viel Energie kosten.
Buch in Eis - Ines Seidel
Mehr Fotos von eiskalten Geschichten gibt es im flickr-set zu sehen.
eiskalte Geschichte - Ines Seidel

Das staunende Buch

Das Staunende Buch - Detail
Das Buch
In die Jahre gekommen
Und in den Keller
Neun Jahre Hoffnung
Reglos in Gelb
Enden abrupt mit Sehnsucht
Nach Vereinfachung:
Seiten ausreißen,
Einzeln, Abschnittsweise
Wortweise den Kokon gefaltet
Neun Monate oder Stunden
Später, beim ersten Sonnenstrahl
Öffnet sich langsam
Der Einband und gibt einen
Noch zarten, ungeschützten
Kleinen Buchstaben frei
o
Das staunende Buch - Ines Seidel
Das Gedicht vom März 2013 hat das staunende Buch mit hervorgebracht, das vor seiner Verwandlung übrigens „Ferien, mit Fischen“ hieß. Weitere Bilder auf flickr hier und hier.