Das Gewicht einer Geschichte
ist abhängig
von der Besessenheit
beim Auffüllen von Lücken
mit soliden Beweisen
—These einer Textlinguistin
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Aus der Verfassung
Ich habe die Verfassung der DDR geändert. Tote, abstrakte Wörter habe ich herausgeschnitten. Nur in wenigen Worten war noch Leben, manchmal nur ein oder zwei sprechende Wörter auf einer Seite. Mit rotem Faden habe ich ihnen Halt gegeben.
Jetzt ist der Text in einer fast transparenten Verfassung, selbst die Gebundenheit der Gedanken darin ist bloßgelegt. Die Geschichte des neuen Textes ist nicht ausgelöscht, sie bleibt auf den Rückseiten der verbliebenen Wörter erhalten.
Hier seitenweise die Worte der geänderten Verfassung:
/KAPITEL 1, Politische Grundlagen/
in Stadt und Land im unteren Teil umschlungen
die Freiheit eines anderen Volkes
Die Bodenschätze, die Bergwerke, Kraftwerke, Talsperren und großen Gewässer, die Naturreichtümer des Festlandsockels sind grundsätzlich
Luft der Heimat
Werte als Sache der Körperkultur
/ABSCHNITT II, Bürger und Gemeinschaften in der Gesellschaft/
Jede Jeder
Mann und Frau
befreit
geheimnis
vorhandene Unverletzbarkeit
Die Kirche ihrer Muttersprache
/KAPITEL 3, Die Gewerkschaften und ihre Rechte/
Sie nehmen teil an der Revolution
/KAPITEL 4, Die Produktionsgenossenschaften und ihre Rechte/
freiwillig
/KAPITEL 1, Die Volkskammer/
verwirklicht Entwicklung
für die Dauer der Sorge
Tatsache der Anwesenheit
am 60. Tage am 45. Tage am 15. Tage
/KAPITEL 2, Der Staatsrat/
nach der Neuwahl
schreibt Fragen
/KAPITEL 3, Der Ministerrat/
Er erläßt Namen
zur gemeinsamen Wahrnehmung
/ABSCHNITT IV, Gesetzlichkeit und Rechtspflege/
Leben unmittelbar
unabhängig – gebunden
gehört werden
die Entscheidung zu wenden
Die Verfassung geändert
in Kraft.
Einige Verfassungsseiten habe ich einzeln geändert – sie sind hier und hier zu sehen. Die herausgeschnittenen Wörter der Verfassung habe ich zu Modellen für eine organisch geformte Konstitution geformt.
Aufbruch der Bücher
Ich habe wieder angefangen, alte Bücher zu verändern. Ich will das Buchsein als eine Übergangsphase zeigen, eine des Stillstands vor der nächsten Bewegung.
Für „Zeichen des Aufbruchs“ habe ich als Ausgangspunkt wieder Eierschalen mit Tusche und Textfetzen verändert. Das Brechen der Schalen, der Aufbruch, ist bereits vorbei, nur noch an den liegengebliebenen Eierschalen erkennbar.
Mein zweites Buch steht kurz vor dem Aufbruch. Es hat sein Bündel geschnürt und ist für ein neues Abenteuer bereit. Das Wichtigste, was es dafür braucht, liegt gut erreichbar ganz oben im Gepäck: Das Wörtchen ‚und“.
Erinnerungen an einen früheren Aufbruch beinflussen das dritte Buch, das sich gerade verändert. Ich habe ein Foto von einem Holzstapel mit den Markierungen für die Weiterverarbeitung auf eine Seite transferiert und auf der anderen Seite ein ähnliches Muster zum Vorschein gebracht. Wie es wohl mit dem Buch weitergeht?
Verwilderung
In letzter Zeit habe ich viel mit einem alten Reclam Taschenbuch von 1984 gearbeitet: Hans Christian Andersen. Märchen und Geschichten. Die Seiten sind schön dünn und vergilbt und es stehen schöne Worte darin. „Die Blumen tanzten auf den Stielen“ zum Beispiel, oder „die Kleider wurden zu Federn“. Wundervoll, um daraus etwas Neues zu gestalten.
Doch eine Andersen-Geschichte im Ganzen ist für mich wenig inspirierend: So weitschweifig und wortreich, moralisch und belehrend. Und dann die Mädchengestalten, die als hübsch und lieb in Erinnerung bleiben. Trotz der Enttäuschungen, die Andersen für sie vorgesehen hat. So wie die kleine Seejungfrau, das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzchen oder Gerda, die sich zur Schneekönigin aufmacht.
Jedenfalls, dieses Buch ist in einem neuen Lebensabschnitt angekommen. Möglicherweise in der Pubertät. Es ist wilder geworden, aufsässiger. Aber unsicher ist es auch. Und noch etwas verspielt, wie ich beim Fotografieren bemerkt habe…
Weitere Ansichten von der Verwilderung des Märchenbuchs hier und hier.
Das staunende Buch
Das Buch
In die Jahre gekommen
Und in den Keller
Neun Jahre Hoffnung
Reglos in Gelb
Enden abrupt mit Sehnsucht
Nach Vereinfachung:
Seiten ausreißen,
Einzeln, Abschnittsweise
Wortweise den Kokon gefaltet
Neun Monate oder Stunden
Später, beim ersten Sonnenstrahl
Öffnet sich langsam
Der Einband und gibt einen
Noch zarten, ungeschützten
Kleinen Buchstaben frei
o
Das Gedicht vom März 2013 hat das staunende Buch mit hervorgebracht, das vor seiner Verwandlung übrigens „Ferien, mit Fischen“ hieß. Weitere Bilder auf flickr hier und hier.
Neue Wortbehänge
Im Bastelladen habe ich 25×25 cm großen Hasendraht entdeckt. Perfekt um losen Worten einen Halt zu geben. Für mein erstes Experiment mit dem Drahtgeflecht habe ich Tiermärchen verarbeitet. In einer freundlichen Struktur umkreisen sie das Gitter. Und oben wird es dann still.
Mein zweites Experiment war aufwändiger. Ich habe skandinavische Trollmärchen in Streifen geschnitten, teils gewachst und mit Tusche markiert und dann am Gitter festgenäht. In das mysteriöse Gewebe passten auch noch ein paar Charaktere.
Mehr Fotos (zum Vergrößern anklicken)
Meine ersten Wortbehänge sind verhäkelte Heldensagen. Hier anschauen.
Geflickte Schalen
Kreative Zerstörung: Im Frühjahr habe ich zwei Schalen aus Papier gemacht. Sie sind mit dem blauen Papier ganz hübsch geworden, aber so richtig überzeugt haben sie mich nicht. Jetzt habe ich sie zerrissen (die blau-weiße Schale) bzw. Formen ausgeschnitten. Und dann alles wieder ein bisschen anders zusammengeflickt. Jetzt gefallen sie mir richtig gut. (Bis zur nächsten Verwandlung.)
weitere Fotos – zum Vergrößern anklicken: